20 Jahre Chicago Gospel Music Festival
.. und es begab sich, dass eine unerschrockene Gospelsängerin aus Ahrensburg ihren reiselustigen Ehemann zu neuen Abenteuern anspornte, ihren Rollstuhl einpackte, um ausgerüstet mit Adressen und Telefonnummern der afro-amerikanischen Gospelfreunde, die sie von ihren vorhergegangenen Workshops kannte, in Hamburg den Flieger zu besteigen, um über Frankfurt nach Chicago zu gelangen. Vorfreude pur war angesagt!
Die Spätfolgen meiner durchgestandenen Polio lassen leider langes Gehen oder Stehen nicht zu, also muß ich im Rollstuhl durch alle Kontrollen. In Chicago sieht das dann so aus, dass mich eine gewichtige, autoritäre, afro-amerikanische Diensthabende abholt und mit unmissverständlich lautem: "Excuse me!" quer durch ca. 7 Reihen der vor der Passkontrolle Wartenden schiebt. Sie hätte sehr gut hinter den Wartenden gehen können, aber das macht natürlich nicht soviel her. Also bin ich darum bemüht, die Wegspringenden, eine Gasse Bahnenden mit einem lieben "Thank you!" wieder gütig zu stimmen, und flugs sind wir durch den Checkpunkt durch.
In einem Mobilhome machen wir uns zunächst auf, um ein Stück Illinois, Missouri und Indiana zu entdecken. Wir übernachten viel auf Campgrounds in Nationalparks und genießen Land und Leute und besuchen auch unsere afro-amerikanischen Freunde und deren unglaublich gastfreundliche Gemeinden.
So, und nun sind wir da - mitten in Chicago direkt vor dem Grantpark, ja aber wo parken? Wir brauchen 2-3 freie Parkuhren hintereinander zum Füttern - gibt`s nicht. Wir fragen die Polizei, aber die antwortet nur ratlos "Just try it somewhere else!" Danke, wir suchen. Tiefgaragen sind für unser Mobilhome zu niedrig, und viele kleine öffentliche Parkplätze wollen uns nicht mit dem großen Ding. ENDLICH, da sehen wir ihn - "unseren" riesigen Sandparkplatz, und nur 6 Dollar ist ein Schnäppchenpreis für den ganzen Tag mitten in Chicago. Nun folgen wir dem Musiklärm, der schon von weitem zu hören ist.
Wir sind da! Erst einmal orientieren und schauen, was ist wo? Beim Infocenter bekommen wir nähere Informationen und ein Bändchen ums Handgelenk für das große Konzert auf der Hauptbühne, alle Aktionen sind für das Publikum frei. Viele kleine Buden bieten CDs, T-Shirts, leckeres Essen, mehrere Radiosender sind vertreten. Es gibt Nebenbühnen, die uns sofort in ihren Bann ziehen. Dort tobt bereits das Leben: junge Gospelchöre, Männer/Frauengruppen, gemischte Chöre in Roben oder einfacher Jeans/T-Shirt Kombination bieten einen kleinen Querschnitt durch ihr Repertoire. Die jüngsten Sänger, ca 5 Jahre alt, singen aus voller Kehle und bewegen sich voll Enthusiasmus und Drive. Ich bin begeistert und seufze im Stillen über die Steifheit meines Chores. Ist es, dass wir diese unbändige Freude einfach immer nur verhaltener zeigen? Gospels, songs of joy! Lobpreis pur! Fehlt uns der Glaube an das, was wir singen? Schämen wir uns, tiefe Gefühle nach außen zu zeigen? Nur schwer lösen wir uns aus dieser Atmosphäre und legen uns für eine Nachmittagspause ins Gras und essen leckere Hähnchenbrust mit Peanutsoße - natürlich in Sichtweite einer weiteren Bühne mit Action.
Immer wieder werden Fragen in die Menge geworfen, die richtigen Antworter werden mit kleinen Geschenken bedacht. Am Samstag traue auch ich mich zu antworten. "Wer kommt aus dem weitesten Land gereist?" "Germany" brülle ich aus Leibeskraft und bekomme eine gefüllte Tasche von dem TV - Sender TLN (Total Living Network), einem christlichen lokalen Fernsehsender. In meiner "Wundertüte" ist eine DVD, ein Video und ein Schellenkranz, der natürlich sofort zum Einsatz kommt! Von 17.00 bis 22.00 Uhr beginnt täglich das Hauptprogramm auf der gigantischen Bühne, und tausende Besucher strömen beizeiten zu ihren Plätzen. Die Farbe der Bändchen am Handgelenk zeigt den Wegweisern an, ob man mittig. in der Ost-, Süd- oder Westkurve seinen Platz hat. Als Rollifahrer bekomme ich meine spezielle Ecke ganz vorne zugewiesen. Ich sitze mitten unter ca. 5000 swingenden, mitklatschenden und singenden Afro-Amerikanern und bin total glücklich! Außer uns sehe ich max. noch fünf weitere Weiße auf den Stühlen sitzen.
Mich beeindruckt, dass alle Ansagen ausnahmslos von Dolmetschern in Gebärdensprache übersetzt werden -- und ebenso die Lieder! Es sieht wunderschön aus und wird fast zum Ausdruckstanz, wenn die Lieder so für Gehörlose synchronisiert werden. Ich habe allerdings das umgekehrte Problem: Da meine Hörmuscheln diesen lauten Pegel nicht gewohnt sind, muss ich tatsächlich 2x eine Kopfschmerzpille nehmen, aber nichts könnte mich dazu bringen, jetzt das Konzert zu verlassen; denn nun kommen sie, die ganz Großen!
Am Freitag, den 4. Juni sehen wir: Tyrone Block & LSD ( Love, Salvation & Devotion), DeAndre Patterson & Friends, D.J. Rogers, Bishop Walter Hawkins. The Canton Spirituals beeindrucken mich dermaßen, dass ich mir eine CD kaufe. Harvey Watkins versprüht seinen Charm auf der Bühne.
Samstag, lächelt man schon dem einen oder anderen zu, man erkennt sich vom Vortag wieder. Ich habe mein Lieblings -T-Shirt an mit der Aufschrift im Schriftzug von Coca Cola: "Jesus Christ, He`s the real thing! It`s no joke!" und werde von vielen darauf angesprochen. Auf der Hauptbühne freue ich mich auf Yolanda Adams (Mensch, hat die lange Beine), die ich endlich einmal live erleben darf. Meine volle Bewunderung findet dann die einzige weiße Gospelsängerin: Martha Munuzzi, deren Ausstrahlung unglaublich und Stimme hammermäßig ist. Percy Grey und The Chicago Mass Choir lassen eine interessante Mischung aus traditional, contemporary, traditional, praise and urban gospel music hören; und mit The New Heritage Praise Dancers wird das Programm aufgelockert.
Den Sonntag verbringen wir nur zur Hälfte im Grant Park; denn wir sind bei unseren afro-amerikanischen Musikerfreunden zum Gottesdienst eingeladen, der lang und sehr intensiv ist. Eine wunderbare Erfahrung für im Glauben stehende Christen. Meine Gefühle gehen mit mir durch, und ich fühle mich nicht nur während des Abendmahls eins mit den durchweg schwarzen Gemeindemitgliedern.
Nun wieder nichts wie hin zum Park. Wir haben gerade Smokey Robinson verpasst - schade, aber da sitzt sie, die große Diva, in leuchtend rotem Kleid mit blinkender Sonnenbrille, the "Queen of Gospel" Dr. Albertina Walker (Jahrgang 1929) und The Touch of Chicago`s Gospel Pioneers singen ihre Lieder. Auch Diva Tramaine Hawkins gesellt sich dazu. Den Abschluß bilden Dr. Charles Hayes and The Cosmopolitan Church Choir sowie Ricky Dillard`s "New Generation Chorale". Ricky tobt und springt wie ein Flummi über die Bühne, und der Chor geht entsprechend mit. Das 20 jährige Jubiläum des Chicago Gospel Music Festivals ist damit um 21.30 Uhr beendet. Die Luft ist milde und die Skyline Chicagos wunderbar anzuschauen. Wir reihen uns, etwas taub in den Ohren aber mit beseeltem Gesichtsausdruck, in die Menge der Hinausströmenden. Ein letztes Lächeln auch für den diensthabenden Polizisten, der uns zum 6. Male über die Straße winkt.
Eins ist für mich klar, das war nicht mein letzter Besuch. Ich fange gleich wieder an zu sparen!