25 Jahre Chicago Gospelfestival - 2009
Wir haben's wieder getan! Nach 5 Jahren sind wir (mein Heiner und ich) nun wieder hier mitten in Chicago. Wir haben Haustausch mit einer amerikanischen Familie gemacht - eine herrliche Art, günstig Urlaub zu machen und sich schnell heimisch zu fühlen. Wir wohnen so zentral, dass wir alles, was wir sehen möchten, zu Fuß erreichen können. Ich sitze dabei wieder in meinem blau-metallic farbenen "Porsche", weil meine Poliobeine mich nicht sonderlich weit tragen.
Da die Sponsoren knapp geworden sind, wird das Gospelfestival auf die zwei Wochenendtage reduziert. In diesem Jahr wird in dem herrlich neu angelegten Milleniumpark gefeiert. Umgeben von außerwöhnlichen Skulpturen, riesigen Blüteninseln und witzigen an hoher Wand per Videoübertragung gezeigten Gesichtern von Menschen verschiedener Kulturen, die plötzlich zur Überraschung und Freude aller Betrachter Wasser speien, liegt die gigantisch große Tribüne des Jay Pitzker Pavilions - ein architektonisches Meisterwerk.
Es gilt, das 25-jährige Jubiläum ( 6./ 7. Juni 09) zu feiern! Ab Samstag 12.00 Uhr mittags gibt es ständig wechselndes Programm verschiedener Gruppen und Solisten auf der kleinen Walgreens Day Bühne. Hier singt u.a. Maurice Griffin, Kandidat von "Sundays Best". Das ist eine TV-Sendung des Senders BET, in der sich wie beim Dieda Bohlen Sänger wöchentlich vorstellen/rausfliegen - nur, dass es sich hier um das Thema Gospelmusik handelt. Viele weiße Spaziergänger mischen sich unter die Afro-Amerikaner und hören eine Weile zu. Rechtzeitig fängt es leider an zu regnen. Es kühlt sich dermaßen ab, dass wir zum riesigen Zelt in Hörweite gehen. Hier gospelt und tobt die Jugend über die Bühne. Wir halten es dort nicht sehr lange aus, es ist so unglaublich laut. Da wir doch schon recht feuchte Kleidung haben, und ich mordsmäßig friere, gehen wir kurz entschlossen für ein paar Stunden zum Trocknen in ein Restaurant und essen gemütlich.
Um 16.00 Uhr geht's dann zur Hauptveranstaltung zum Pavilion. Die Darbietungen sind kostenlos für alle. Wir haben unser farbiges Bändchen am Handgelenk, das den Ordnern ansagt, dass wir links außen sitzen dürfen. Unzählige, in gelb gekleidete, frierende Ordner sorgen für reibungsloses Platzieren der herbeiströmenden Leute. Als Rollifahrer bin ich wieder ganz vorne ( super, hier sind wir regen- und windgeschützt). Calvin Bridges erwartet uns schon. Wir sehen hier kaum Bleichgesichter, was ich absolut nicht vermisse! Neben mir sitzt eine sehr elegant angezogene, (vor)laute Afro-Amerikanerin, die gar nicht mehr aufhört, extrem laut hörbar über die Jugend in Sehweite herzuziehen, die in ihren Augen zuviel Haut unter dem hochrutschenden Pullover zeigt.
Dann geht's los: Sprecherin Pam Morris heißt alle Besucher willkommen: "Let's celebrate JESUS !" Percy Brady singt die Hymne. Meine vorlaute Nachbarin sagt: "Ich steh nur für Jesus auf!" Da ist sie jedoch ziemlich allein mit ihrer Meinung. The Voices of Acme Missionary Baptist Church Choir, ( How sweet the sound winner 09), eröffnen mit "Lord I will lift mine eyes to the hills.." In lila Roben sind sie toll anzusehen und heben so richtig ab, als Kurt Karr sich dazu gesellt. " We lift our hands in the sanctuary" singt ausnahmslos jeder Anwesende lautstark mit. Kurt wirft seine Jacke ins Publikum. Yes, the presence of the Lord is here!
Shekinah Glory Ministry ( Choir of the year) leuchtet in grün-weißer Kleidung, und zahlreiche Praisedancers begleiten den Auftritt. "I praise You", "Say Yes" - sehr emotional gesungen werden von dem Fetzer " Jesus, He's on the line" abgelöst.
Wie immer wird jeder gesprochene oder gesungene Satz von sich abwechselnden Gebärdensprechern für taube Menschen ausdrucksvoll swingend übersetzt. Verschiedene, kunstvoll bestickte farbige Transparente mit den Worten JESUS, MERCY, GRACE, LOVE, I AM THAT I AM werden umhergetragen.
Solist Jonathan Nelson mit sieben Sängern singt und hält eine Ansprache über das Heilen. Mit Ausrufen "I´m here and I´m delivered, I'm safed, open your mouth and praise Him - trifft er ins Herz des Publikums. City of Chicago everybody open your mouth - we glorify You Lord! Tausende Leute erheben sich, die hinteren stehen eh schon und singen und tanzen zur Ehre Gottes vor ihrem Stuhl, in den Gängen, auf dem Gras, im Rollstuhl! Come-on, make some "Holy Ghost Noise" Wow, überwältigend! "Put a HALLELUJAH in your mouth neighbour" soll ich von meinen Nachbarn einfordern - Nicht nötig , das ist eh schon da! - Wir singen wie ein gewaltiger Chor "How great is our God". Nachdem "My name is victory" lautstark eingefordert wird, muß schnell Platz für die nächsten Sängerinnen gemacht werden.
In den Umbauphasen mit Neudekorierung und Bandneubesetzung wird Bekanntes gesungen: "Victory is mine", "Oh, how I love Jesus,..." Ein kleines 8-jähriges Mädchen wird auf die Bühne gehoben und singt einen Lobpreissong (mind. 15 Strophen) unter lautem Applaus. Es werden auch wieder Fragen ins Publikum geworfen z.B.: WER ist der Vater des Contemporary Gospel ? ( Edwin Hawkins) WOHER kommt der am weitesten gereiste Gast? Calvin zeigt auf Heiner und mich, und wir bekommen einen Einkaufsgutschein im Wert von 10 Dollar.
Es dauert ein Weilchen; denn für The Devine Divas wird die Bühnendeko besonders edel hergerichtet mit Kerzenständern, weißem Schleier zwischen Efeu und Blumen,.... ja, und dann kommen sie. Fred Nelson presents "An evening of Gospel Elegance" mit: Felicia Coleman- Evans, Connie Kinnison und Elizabeth Norman-Sojourner - angezogen wie drei Bräute in langen schneeweißen Edelkleidern singen sie so ganz anders "I'm in love with Jesus", "I surrender all", "How great though art".... In majestätischer Haltung wird Klassik vom Feinsten geboten. Ein Orchester und der Chicago Masschoir begleiten im Hintergrund, eine Saxophonistin bekommt viel Applaus und auch Rodrick Dixon singt eine sehr jazzige Version zusammen mit den Diven.
Nun kommt wieder ein ganz anderer Stil - der stampfende Rhythmus vorweg lässt den Mississippibeat erahnen, und die Zuhörer grooven allesamt mit Kopf und Körper. Das ganz in weiß gekleidete Quartett um Doc McKenzie & the Hi-Lites tritt seit 1965 gemeinsam auf und erinnert mich stark an die Canton Spirituals. Ich liebe diesen stampfenden Beat und fetzigen Rhythmus zu souligen Stimmen! Auch Lee Williams & The Spiritual QC's, seit 30 Jahren on Stage, bringt fetzige Gospel und zeigt dabei mit fast versteinerter Mimik Minimalkörpereinsatz (maximal sein rechtes Knie zuckt). Er sagt: "Wir wollen nicht nur Rhythmus spüren - sondern Gottes Gegenwart!"
Pastor Donnie McClurkin findet bei seinem Startsong "That's what I believe" ein aufgeheiztes Publikum vor. Es gibt kleine Tanzeinlagen. "Oh Lord, oh Lord, You are my God and King", Segenswünsche und ein mit Publikum dreistimmig a-cappella gesungenes "Hallelujah" bilden den Abschluß des Samstages.
Erschöpft und arg durchgefroren geht's nach Hause, wo das heiße Badewannenwasser auf uns wartet.
Am Sonntag ist weiteres feucht-kühles Schau(d)erwetter angesagt, und schweren Herzens gehen wir nicht zu den Auftritten der kleinen Bühne, wo nur die Musiker unter geschütztem Dach stehen. Ich habe eh andere Pläne; denn ich freue mich, Kirk Franklin nach ca einem halben Jahr wieder zu sehen. Besonders Heiner hatte sich ja mit Kirk in Deutschland angefreundet. Er wird von 4 Bodyguards durch die Menge kreischender Mädchen geleitet und nimmt sich viel Zeit für Heiner und mich. Zum Abschied verewigt er sich noch samt Zeichnung auf meinem Shirt.
Nun gehen wir zeitig zur großen Bühne. Diesmal möchte ich nämlich einen Platz vorne mittig haben und bekomme ihn. Wer sitzt wieder genau neben mir? Meine kreischende Nachbarin von gestern, die jetzt lauthals jedem im Umkreis zuruft: " She is from Germany!" Sie ist sehr erfreut (so schlecht scheint der Ruf der Deutschen hier nicht zu sein)!
Nach dem Dank an alle Sponsoren und der Hymne kommt mit viel Temperament in zarte fliederfarbene Roben gehüllt der Cosmopolitan Church of Prayer Choir mit Dr. Charles Haynes schwungvoll auf die Bühne. Sie verbreiten so gute Stimmung, dass mir nach einer Weile das Genick vom Bouncen schmerzt. Ich staune, wie präzise sich Menschen mit doch reichlich Übergewicht in ungewöhnlichen, witzigsten Choreographieschritten in super Tempo bewegen, sich paarweise einhaken, tanzen, eine Polonaise bilden... Interessante Bewegungsabläufe zu gut gesungen Songs hinterlassen Eindruck!
New Direction knüpft daran an. Die 50 durchweg jungen Sänger (16-25 J.) mit jugendlichem Erscheinungsbild in weißen Shirts zur Jeans warten mit ausgefeilten Schrittkombinationen zum Gesang auf. Erstaunlich, dass diese energiegeladenen Bewegungen nicht zu Atemlosigkeit beim Singen führen. Ihre Devise ist frei nach Mahalia Jackson: Rhythmus und Gesang gehören in der Gospelmusik zusammen! Sie beenden ihren Auftritt mit dem gemäßigten und andächtig gesungenen: "I'm in love with Jesus!"
Rev. Dr. Lucius Hall presents A Touch of Chicago Pioneers/Legends. Diese Sänger sind bereits in hohem Alter und singen in weißen Kostümen von Sesseln auf der Bühne. Mein Heiner genehmigt sich eine kleine Auszeit, um sich aufzuwärmen.
Mit Evelyn Turrentine-Agee und ihren vier Backgroundsängern aus der Familie kommen wir zum stimmungsvoll gesungenen Gospel mit viel Glaubensbekenntnis zurück. Sie bezieht das Publikum mit ein und strahlt eine sehr natürliche Fröhlichkeit aus. Die übernimmt auch das Pastorenehepaar Disha und Deitrick Haddon, die spontan als Gäste auf die Bühne kommen. Ich kenne und liebe diverse Songs von Deitrick. Er singt springend auf der Bühne. Ich bekomme leider kein Foto hin.
Nun wird unter großem Jubel Fantasia angekündigt. Sie ist die "American Idol"- Gewinnerin von 2004 und bringt gleich ihre Mutter zum Duett mit. Der Hype um Fantasia ist riesig, und ein Sonder-Kameramann verfolgt jede ihrer Bewegungen. Die Sicherheitsleute bekommen viel zu tun; denn sie begibt sich weit weg von der Bühne. Extrem schrill und sehr stimmgewaltig schmettert sie ihre Gospel, ohne dabei eine Sekunde still zu stehen. Mir ist es zu unruhig, aber die Leute lieben es.
Nicht minder temperamentvoll kommt nun als Highlight Kirk Franklin auf die Bühne gesprungen und eröffnet mit " My God is an awesome God". In seiner typischen Körpersprache dreht sich Kirk wendig auf der Bühne, und mit einem gewaltigen Sprung jumped er direkt zu mir herunter. Schwupps, weg ist er wieder und hält diverse Sicherheitsleute auf Trapp! Er ruft: "Let's have a praising party!" "Brighter day", "Lovely day", Männer und Frauen im Publikum bekommen separate Parts zu singen und seine sieben Sänger/innen im Hintergrund unterstützen kräftig. Kirk vergisst nicht, daran zu erinnern, wem wir zu danken haben: " My life is in Your hands!" Zum Ausklang singen tausende Menschen einträchtig Kirks größte Gospelerfolge. Noch lange klingt es nach: "Nana nana na-nana, na....(Imagine me)" und erneut "How great is our God" und "Hallelujah"; und es kommt ein warmes, wunderbares Gefühl auf, als würden wir alle zu einer riesigen Familie gehören.
Ich fühle mich ganz benommen von den Eindrücken dieser zwei Festivaltage. Wir passen uns dem Fluss der hinausströmenden Gospelbegeisterten an, die hinausgehen in die feuchte, kalte Dunkelheit der Stadt Chicago - zurück in ihr Zuhause, in ihren Alltag, um Gesehenes und Gehörtes wirken zu lassen.